Lektüren mit Ilse Aichinger
»Orte sind Ausgangspunkte«: Thomas Wilds großer Essay lädt zur Neuentdeckung Ilse Aichingers ein.
»Muß nicht alles immer wieder neu entdeckt werden, um zu bleiben?«, schrieb Ilse Aichinger 1949 in dem frühen Text »Reise nach England«.
Ihre Zwillingsschwester war mit einem Kindertransport vor den Nazis nach England geflüchtet, Ilse Aichinger hatte in Wien überlebt.
Dieser historische Augenblick ist prägend für Aichingers gesamtes Werk: das zufällige Weiterleben nach dem Massenmord, die Reise übers Meer zur geliebten Schwester und Dover, das »beharrlich und sehr am Rand« an Englands Küste liegt.
Thomas Wild hat keine Biographie geschrieben. Was er macht, ist viel einfacher und schöner:
Er liest. Er liest feinsinnig und genau die berühmten Texte, er liest unbekanntes Archivmaterial, und er liest den bewegenden Briefwechsel mit der Schwester.
Was dabei sichtbar wird, ist eine überraschend aktuelle Poetik der Vielsprachigkeit und Ethik der Gastfreundschaft. Wie Ilse Aichinger nach England reist, so reisen auch ihre Texte immer wieder über Grenzen hinweg, an den Rand, und lassen, beyond, fremde Wörter hinein.
Thomas Wild lehrt als Professor für German Studies am Bard College, New York. Er arbeitet zur deutsch- und englischsprachigen Literatur und Poetik des 20. Jahrhunderts sowie deren Verbindungen zu Geschichte, Philosophie, Politik und Ethik.
Buchpublikationen und Editionen:
»Hannah Arendt. Leben, Werk, Wirkung« (2006); »Nach dem Geschichtsbruch. Deutsche Schriftsteller um Hannah Arendt« (2009); »Briefwechsel Hannah Arendts mit Uwe Johnson, Hilde Domin, Joachim Fest«; »Was ich mir wünsche. Gedichte von Thomas Brasch« (2005); »Wolfgang Hildesheimer: 12 Briefwechsel« (2016); »Spell – Übersetzungen von Gedichten Ann Lauterbachs« (2019). Aktuelles Buchprojekt: »Haltung. Auch eine Poetik«. – Thomas Wild ist einer der Hauptherausgeber der Kritischen Gesamtausgabe der Werke Hannah Arendts (2018ff.).
Pressestimmen
Wild ist dabei etwas gelungen, was die Literaturwissenschaft nur selten leistet, nämlich aus sprachlichen Detailanalysen das große Ganze zu vermitteln.
Gerhard Zeillinger, Der Standard, 1. November 2021
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